Sinn und Unsinn von Kurzkupplungskulissen
Die Kurzkupplungskulisse ist zweifelsohne eine der bedeutendsten Erfindungen
für die Modelleisenbahn. Ermöglicht sie es uns doch die Illusion
vorbildgetreuer Wagenabstände, zumindest solange wir nicht durch Bögen
fahren, die es so beim Vorbild nicht geben könnte.
Doch leider hat die Kurzkupplungskulisse auch einen Nachteil. Doch keine
Angst - der durchschnittliche Modelleisenbahner, der in seiner Wohnung eine
kleine Anlage betreibt, wird dies wahrscheinlich nie bemerken.
Aber alle, die lange Züge fahren (können), werden irgendwann darüber
stolpern: die Kulisse wandelt unter bestimmten Bedingungen einen Teil der
Längskräfte in Querkräfte um, wodurch die Neigung zum Entgleisen
deutlich zunimmt und in manchen Fällen Wagen regelrecht aus dem Gleis
gedrückt werden.
Um dies zuverstehen, ist ein Blick in die NEM 310 "Radsatz und Gleis"
recht hilfreich. Die Spurweite darf im Bereich 12,0 bis 12,3mm liegen.
Die Summe aus Radsatzinnenmaß und zweimal Spurkranzdicke darf Werte
von 11,4 bis 11,7mm annehmen. Damit ergibt sich ein seitliches Spiel des
Radsatzes im Gleis von mindestens 0,3mm und höchstens 0,9mm. Was hat
das nun für eine Bedeutung? Bei langen Fahrzeugen in der Praxis gar
keine. Wohl aber bei kurzen Fahrzeugen, oder um genauer zu sein, bei Fahrzeugen
mit kurzem Gesamtachsstand. Das seitliche Spiel ermöglicht ein Verdrehen
der Fahrzeuglängsachse relativ zur Gleislängsachse. Bei sehr kurzen
Fahrzeugen sind dabei bis zu 2° möglich.
In dieser Skizze beträgt die Winkelabweichung 1,5°. Wie deutlich
zu sehen ist, liegt die Kulisse nicht mehr in Gleismitte, sondern seitlich
versetzt. Dieser seitliche Versatz ist umso größer, je kürzer
der Achsstand und je größer der Überhang am Fahrzeugende
sind.
Wenn man sich nun die Sache mal im Detail ansieht, werden die Wirkungen sichtbar.
Solange die Zugkraft kleiner oder gleich der Kraft der Rückstellfeder
(nicht eingezeichnet) ist, passiert überhaupt nichts, weshalb auch Modellbahner,
bei denen nur relativ kurze Züge verkehren, keine Probleme bekommen.
Wird die Zugkraft jedoch größer, so versucht sie, den Zapfen der
Kupplung nach vorn zu ziehen. Da sich die Kulisse jetzt aber nicht in Gleismitte
befindet, wird der Zapfen schräg nach vorn gezogen, wodurch er eine
seitliche Kraft auf die Kulisse und damit auf den gesamten Wagen ausübt.
In Folge dessen wird der im Bild obere Spurkranz an die Schiene gedrückt.
In dieser Situation genügt dann eine kleine Unebenheit im Gleis oder
ein nicht 100%ig perfekter Schienenstoß, um den Spurkranz aufklettern
und damit den Wagen entgleisen zu lassen.
Was kann man nun in der Praxis tun, um diese Problematik zu vermeiden?
Nur kurze Züge verkehren lassen ist sicherlich keine Lösung für den, der den Platz für lange Züge hat.
Die Wagen, die zu diesem Verhalten neigen, im hinteren Zugteil einzureihen,
ist sicher eine Möglichkeit. Aber auf Dauer ist das auch keine befriedigende
Lösung, da sie den freizügigen Einsatz der Fahrzeuge einschränkt.
Die meiner Meinung nach einzig sinnvolle Lösung für das geschilderte Problem ist, kurze Fahrzeuge ohne
Kurzkupplungskulisse einzusetzen. Das klingt jetzt möglicherweise wie
Rückschritt, ist es aber nicht. Kupplungen ohne Kulisse bedeuten schließlich
nicht zwangsläufig große Fahrzeugabstände. Zumindest nicht
bei relativ kurzen Fahrzeugen. Und nur um diese geht es ja.
Hier der direkte Vergleich. Links zwei Wagen von Tillig ab Werk mit Kulisse. Rechts zwei Wagen ohne Kulisse.
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Die Wagen im rechten Bild haben eine LüP von 76mm. Mit diesem Pufferabstand
kommt es selbst geschoben im 310er Radius mit Gegenbogen ohne Zwischengerade
nicht zur Überpufferung.